Madame Januar

Eine Geschichte von René Frauchinger für die NaRrgenda / Monat Januar

Mein Name ist Max Neuenschwander, ich bin ein Hermelinspelz. Man kann bei einem Hermelinspelz nie behaupten, er erlebe Abenteuer, bestenfalls ist er bei einem Abenteuer anwesend. Aus diesem Grund will ich auch nicht von mir, sondern von ihr sprechen, von Madame Geraldine-Liselotte Januar, meiner Herrin oder – wie man auch sagt – meiner Trägerin. Auch muss man hier gleich zu Beginn einwenden, dass ich eigentlich nicht der Richtige bin, über Madame zu sprechen, gar ein Portrait von ihr zu zeichnen. Dies liegt weniger daran, dass ich ein Hermelinspelz bin, Hermelinspelze sind auch nicht – entgegen der allgemeinen Vermutung – dümmer oder weniger dumm als – sagen wir einmal – ein Lenzburger Primarlehrer. Wenn ich behaupte, ich sei nicht der Richtige, um über Madame Januar zu sprechen, dann sage ich dies, weil ich auf dem Land aufwuchs. Als ich noch ein ganz junger Hermelinspelz war, war mein Herr und Träger ein Ostrussischer Königsmantelhermelin. Diesem beisswütigen Tier verdanke ich noch immer meine Gruppenzugehörigkeit. Auch wenn ich mittlerweile bereits länger im Dienste der Madame Januar stehe, als damals im Dienste des Hermelins, bezeichnet man mich noch immer als Hermelinspelz und nicht etwa als Januarspelz oder gar Madamespelz. Pelze, so muss ich hier festhalten, behalten die Bezeichnung ihres ersten Trägers. Obwohl ich hier gewiss nicht von den linguistischen Feinheiten des Pelzdaseins sprechen will, so musste ich dies trotzdem vermerken, damit man doch verstehe, dass sich ein Hermelinspelz, der in der abgelegenen russischen Tundra aufgewachsen ist, sich am Halse einer Stadtberner Patrizierdame nie richtig zu Hause fühlen kann. Ich finde die Bonmots von Madame durchaus geistreich. Auch über die Gäste – vornehmlich Künstler und Bundeshauspolitiker – welche Madame besuchen, lässt sich nichts Tadelswertes finden. Ich gebe zu: Nie hört man auch nur ein Fluchwort, einen Kraftausdruck im Salon. Auch wechselt Madame ohne Mühe und Anstrengung zwischen Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch. Die Gespräche sind reichhaltig, vielfältig, ja geradezu erbaulich. Es ist eine Gesellschaft, welche Madame hier unterhält – und deren edelstes Glied sie selbst ist – wie man sie sich heute in ihrer Vornehmheit kaum noch vorstellen kann. Es steht mir deshalb nicht zu, zu klagen. Kein höherer und vornehmerer Hals ist für einen Hermelinspelz denkbar. Und trotzdem muss ich gestehen, auch wenn es mir schwer fällt, wie ich sie manchmal vermisse: die Wälder Russlands, durch welche ich durchgeschwitzt und kotbespritzt mit dem Königsmantelhermelin einst rennen durfte.

januar

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