Meet the Makers: «Filmretten: Stadt ohne Juden»

Das Filmarchiv leistet gerade Grossartiges und biegt in die Zielgerade ihrer Kampagne für die Rettung des Films «Stadt ohne Juden» von 1924 ein. Über 500 Unterstützer sind schon dabei und die Zielsumme 75’500.- ist fast erreicht. Wie haben sie das geschafft und wie geht es ihnen dabei? Ein Interview.

Manche Projekte nehmen auch uns den Ärmel rein und bei mir ist das hier so ein Fall. Der Film behandelt 1924 (!) das Szenario der Vertreibung der Juden aus Wien, inkl. Anti-Flüchtlings-Rhetorik, die wir leider mehr als genug kennen. Umso wichtiger, dass der Film bewahrt werden kann. Mitmachen könnt ihr hier.

75’5000 ist eine aussergewöhnlich hohe Summe und das Filmarchiv schafft eine eine aussergewöhnliche Kampagne. Die Unterstützung ist gross und es hat sich in den letzten Tagen sogar eine anonyme Unterstützerin gefunden, die jeden Beitrag für die Kampagne verdoppelt – wow!

Ich habe mit Tomáš Mikeska, der als Marketingleiter des Filmarchivs den Lead bei der Kampagne hat, gesprochen.

Tomáš und ich
Tomáš und ich

Simone: Wie geht es dir, jetzt wo es auf den Endspurt zugeht?

Tomáš: Mir geht es großartig, ich spüre die steigende Motivation der Crowd und das gibt mir im Endspurt zusätzlich Kraft. Immerhin sind allein innerhalb der letzten Woche 100 neue UnterstützerInnen dazu gekommen.

Simone: Ja, ihr seid jetzt unsere österreichische Kampagne mit den meisten Unterstützer*Innen!

Tomáš: Das ist schön zu hören und ein sehr wichtiger Aspekt, denn es war unser Ziel so viele Menschen wie nur möglich mit dem Thema des Filmes und der Kampagne zu berühren und das haben wir geschafft, wie es aussieht.

Ein alter Nitrofilm...
Ein alter Nitrofilm…

Simone: Wieso habt ihr euch für diese Filmrettung an die Crowd gewandt?

Tomáš: Das Filmarchiv Austria ist wie viele andere Kulturinstitutionen in Österreich auf Fördermittel angewiesen. Aufgrund von Mittelkürzungen war es uns nicht möglich das akute Projekt, sprich die Rettung eines unerwartet gefunden Materials, aus den laufenden Mitteln zu finanzieren. Es war eine neue Notlösung.

Eine schöne Lösung, wahrscheinlich die Beste, die es gibt. Da jede/jeder es mitgestalten kann.

Simone: D.h. die Notlösung hat jetzt auch gute Seiten?

Tomáš: Überwiegend! Womit ich anfangs nicht gerechnet habe. Aber ja, zu 85% ist es eine rein positive Erfahrung. Wenn nicht 90%.

Simone: Wow. Was ist denn, aus diesen 85-90%, dein persönliches Highlight?

Tomáš:. Die immens große Beteiligung an #filmretten, denn die Kampagne geht ja über die finanzielle Unterstützung hinaus. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, sie in Zeiten wie diesen nicht nur kulturpolitisch sondern auch gesellschaftspolitisch anzulegen und zu führen und die Unterstützung ist auf allen Seiten einfach überwältigend.

Mit wenigen kritischen Stimmen, die es nicht gewohnt sind, dass sich eine Kulturinstitution auch traut offen politisch Gesicht zu zeigen. Aber auch die lassen uns wissen, das wir ankommen und das ist wichtig.

Dies soll bewahrt werden.
Dies soll bewahrt werden.

Simone: Was sind denn die anderen 10%?

Tomáš: Die Tage, wo nichts Sichtbares zurückkommt und man sofort anfängt, sich Zusatzlösungen, Kommunikationsmittel, Strategien zu entwickeln. Die kleinen Momente der Panik. Die waren am Anfang der Kampagne allerdings stärker.

Simone: Euer Ziel ist aussergewöhnlich hoch für reward-based Crowdfunding. Wie habt ihr euch
auf die Kampagne vorbereitet?

Tomáš: Wir bestimmten den Zeitplan und die Ressourcen auf allen Ebenen (personell, finanziell,
zeitlich). Wir setzten ein fixes Team zusammen und schafften die richtigen Rahmenbedingungen. Dann suchten wir die ersten PartnerInnen auf, Partner zur finanziellen Unterstützung aber auch für Kommunikationsunterstützung. Wir haben einen Projektplan aufgestellt, einen Kommunikationsplan und einen Redaktionsplan.

Und ganz wichtig, ich holte mir auch die interne Erlaubnis, die Kamagne autonom führen zu
können. Denn es geht um schnelle und laufende, stetige Kommunkation, da muss eine Freiheit
und eine Linie her.

Simone: Was ist rückblickend das wichtigste gewesen?

Tomáš: Der letzte Punkt, die gesamte Planung und mein kleines motiviertes Team. Wir arbeiten seit 6 Wochen in einer geschlossenen Crowdfunding-Blase und es ist herrlich zusammen dem Ziel entgegen zu schweben.

Das Filmarchiv-Kampagnenteam
Das Filmarchiv-Kampagnenteam

Simone: Gibt’s was, das du jetzt schon anders machen würdest, könntest du die Zeit zurück
drehen?

Tomáš: Ich habe immer das Gefühl, alles und nichts anders machen zu müssen, wen ich die Gelegenheit hätte. Ich glaube, dass Crowdfunding so viele Möglichkeiten in der Kommunikation, Planung und Umsetzung bietet, dass immer ein Gefühl zurück bleibt noch nicht ALLES ausprobiert, umgesetzt oder vielleicht gegeben zu haben.

Aber ja, ich würde die Laufzeit doch länger machen, wenn ich könnte.

Simone: Wieso?

Tomáš: Es macht mich echt traurig, dass es bald vorbei sein soll. Wirklich.

Simone: Weil du glaubst, ihr könntet noch mehr erreichen oder weil es dir so Spass macht (?)?

Tomáš: Weil auf beiden Seiten das Potential nicht ausgeschöpft ist. Es macht immensen Spaß, denn du siehst täglich das Resultat deiner Arbeit und das ist im Marketing nicht gängig. Und die vielen tollen Menschen nicht vergessen, die ich täglich in Gesprächen kennen gelernt habe.

Simone: Letzte Frage: Hast du einen Wunsch für den Rest der Kampagne?

Tomáš: Ich gehe vom Erfolg der Kampagne aus, daher… dass die Kampagne auch nach dem 10.12. noch weiter in Erinnerung bleibt, von der Crowd weiter konstruktiv verfolgt und supported wirdund wir es alle gemeinsam schaffen wachsam in eine Zukunft zu gehen, aufgrund dieser kleinen Zeichen, ohne Wiederholung der Vergangenheit.

Das klingt kitschig ist aber so. Unser Ziel war nicht nur die hohe Summe.

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